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Übergriffe am Arbeitsplatz - Deeskalation verstehen und handeln, bevor es knallt.

Zwei Frauen am Schreibtisch, fremde Hände an der Schulter

Konflikte können sowohl einen Mehrwert bieten als auch eine Bedrohung darstellen.

Konflikte entstehen, wenn wir unvereinbare Ziele verfolgen, Interessen entwickeln, Bedürfnisse vertreten oder Wertehaltungen leben. Sie beeinflussen hierbei notwendigerweise unsere individuelle sowie gesellschaftliche Entwicklung. Konflikte sind somit Teil des Menschseins und bilden einen Mehrwert. Aus einer Grenzverletzung heraus entstehende Konflikte stellen jedoch eine Bedrohung für uns dar. 

Grenzverletzungen können auf verschiedenen Ebenen stattfinden.

Grenzüberschreitendes Verhalten kann auf 

•    verbaler Ebene (anzügliche Witze, Fragen zum Sexualleben, aufdringliche Kommentare zum Aussehen), 
•    nonverbaler Ebene (aufdringliches Anstarren, anzügliche Blicke, Hinterherpfeifen, unerwünschte E-Mails, Fotos oder Darstellungen mit sexuellem Bezug), 
•    physischer Ebene (unerwünschte Berührungen, wiederholte Annäherung, jede Form von Gewalt)

stattfinden und beinhaltet alles, was ohne das Einverständnis der betroffenen Person geschieht.


Dem Setzen von Grenzen geht jedoch der herausfordernde Prozess voraus, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu werden. Fragen Sie sich einmal selbst „Was sind meine Grenzen?“ und „Wann fühle ich mich unwohl und habe das Bedürfnis den Abstand zu wahren oder wieder herzustellen?“.

Ernstnehmen beginnt bei einem selbst!

Viele Menschen neigen dazu, das Verhalten anderer herunterzuspielen oder beginnen an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Sie fangen an Sätze wie „Das hat der andere bestimmt nicht so gemeint.“ oder „Stell dich nicht so an.“ zu sich selbst zu sagen. Eine Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kam jedoch zu dem Ergebnis: 

„Jede elfte Person wurde in den vergangenen drei Jahren am Arbeitsplatz sexuell belästigt.“  

Es ist wichtig, sich selbst und das eigene Umfeld daran zu erinnern, dass wir über unseren eigenen Körper bestimmen können, dürfen und sollten. Sobald wir etwas unangenehm finden, müssen wir uns dafür nicht rechtfertigen, sondern sowohl wir als auch die anderen müssen uns ernst nehmen. Sie bestimmen, was Ihnen unangenehm ist. Sätze wie „Wenn Sie ein paar Jahre älter wären dann…“ oder „Schade, dass es hier eine Kleiderordnung gibt.“ sind nicht zu tolerieren. Auch das Begutachten des ganzen Körpers oder ein anzügliches Augenzwinkern ist grenzüberschreitend. Am deutlichsten sind physische Grenzüberschreitungen durch das Aufbauen von Körperkontakt wie z. B. eine Hand auf die Schulter legen. In allen Fällen wird eine Grenzüberschreitung, Unerwünschtheit, Erniedrigung und Abwertung und Einseitigkeit deutlich. 

Sexuelle Belästigung ist im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzt (§ 3, Abs. 4) klar definiert:

Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

„Kein Nein ist kein Ja UND ein Nein ist ein Nein, weil ein Nein ein Nein ist.“ 

Wenn Sie nicht explizit „nein“ zu etwas gesagt haben, bedeutet das nicht, dass Sie Ihr Einverständnis hierfür gegeben haben. Wenn Sie bereits Ablehnung signalisiert haben, hat die andere Person das sofort zu akzeptieren. Niemand muss sich für ein „nein“ rechtfertigen oder dafür, belästigt worden zu sein. Die Regel lautet: Schuldzuweisungen wie z. B. Kleidung, Lachen, Blickkontakt sind nicht zu tolerieren! 

Bei sexueller Belästigung gilt: Um zu deeskalieren, dürfen Sie eskalieren – setzen und verteidigen Sie aktiv Ihre Grenzen!

Bei sexueller Gewalt geht es um Machtgefühle und das damit einhergehende Demonstrieren von Dominanz. Hier gilt es nicht, sich in den anderen hineinzuversetzen, um sein Handeln zu verstehen und somit deeskalieren zu können, sondern den Fokus auf sich zu setzen und die eigenen Grenzen so deutlich wie möglich aufzuzeigen. Je früher und klarer Sie in diesem Schritt sind, desto wahrscheinlicher ist das Einstellen des grenzüberschreitenden Verhaltens. Konkret bedeutet dies, sobald Sie ein unangenehmes Gefühl verspüren, gilt es, dieses zu kommunizieren. Dies können Sie nonverbal, in dem Sie den Körperkontakt auflösen und Abstand zu der Person herstellen und verbal, in dem Sie die andere Person auffordern, das Verhalten zu unterbinden: „Sie haben gerade Ihre Hand auf meine Schulter gelegt. Das fühlt sich unangenehm für mich an. Ich bitte Sie, Ihre Hand wegzunehmen und mich nicht zu berühren.“ oder in kurz „Stopp, das ist mir unangenehm.“, „Ich möchte das nicht.“, „Hören Sie sofort auf damit.“. Falls Sie in der akuten Situation nicht in der Lage sind zu reagieren, ist es wichtig, dass Sie sich hierfür nicht verurteilen. In Stresssituationen verfallen wir häufig in Hilflosigkeit und erstarren. Dies ist evolutionär bedingt und hat nichts mit Versagen zu tun. Wichtig ist dann, das grenzüberschreitende Verhalten auch retrospektiv anzusprechen und der anderen Person deutlich zu machen, dass eine Wiederholung des Verhaltens nicht akzeptiert wird. Für diesen Schritt können Sie auch eine dritte Person als Unterstützung hinzuholen.

Sie sind im Recht.

Jeder Vorfall sollte sofort dokumentiert werden und kann mit Vertrauenspersonen, Gleichstellungsbeauftragten, Ansprechpersonen in der Personalabteilung besprochen werden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet jede Form der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Mitarbeitenden vor Übergriffen auf allen Ebenen zu schützen. Wenn sexuelle Belästigung gemeldet wird, muss der Arbeitgeber dem nachgehen. Je nach Schwere kann als arbeitsrechtliche Konsequenz Abmahnung, Versetzung, Umsetzung oder Kündigung erfolgen. Betroffene Personen haben zusätzlich zentrale Rechte: Beschwerderecht, Leistungsverweigerungsrecht, Recht auf Schadensersatz. 

Setzen Sie frühzeitig und deutlich Ihre eigenen Grenzen, um sich selbst ein persönlicher Wegweiser zu sein und Ihrem Umfeld eine Richtung aufzuzeigen, wie Sie behandelt werden möchten.